Lesezeit: 8 Minuten
Klingt nach Science-Fiction, ist aber Trainingsrealität: mit gezielten Übungen dein Gehirn so trainieren, dass sich deine Beweglichkeit verbessert, Schmerzen nachlassen, deine Reaktionszeit kürzer wird – und sogar deine Augen fitter werden. Doch genau das verspricht Neuroathletik. Was als Geheimtipp im Leistungssport begann, wird inzwischen auch im Alltag, in der Therapie und im Gesundheitstraining genutzt. Erfahre hier, warum immer mehr Menschen auf die smarte Verbindung aus Gehirntraining und Bewegung setzen und wie auch du davon profitieren kannst.
Inhalt
Was ist Neuroathletik?
Neuroathletik als neue Trainingsmethode
Wie funktioniert Neuroathletik?
Was bringt mir Neuroathletik?
Neuroathletiktraining gegen Beschwerden im Alltag
Für wen ist Neuroathletik geeignet?
Ganzheitlich für viele Sportbereiche trainieren
3 Neuroathletik Übungen zum Einstieg
Wie kann ich Neuroathletik Trainer werden?
Fazit: Neuroathletik – ganzheitlicher Trainingsansatz mit Zukunft
Was ist Neuroathletik?
Neuroathletik ist ein Trainingsansatz, der gezielt das Nervensystem anspricht, um Bewegungsabläufe zu optimieren und die Leistungsfähigkeit zu steigern. Im Zentrum stehen Kopf und Körper als Einheit. Denn: Unser Gehirn reguliert und kontrolliert alles im Körper. Es nimmt externe und interne Informationen als Input über Sinnesorgane wie unsere Augen auf, verarbeitet und interpretiert sie mit unserem vorhandenen Wissen und erzeugt daraus ein Endergebnis, den Output. Im Sport ist der maßgebliche Output die Bewegung. Wie wir uns bewegen, wird von den Prozessen in Gehirn und Nervensystem bestimmt - hier setzt Neuroathletik an.
Neuroathletik als neue Trainingsmethode
Während Neuroathletiktraining in Deutschland vor allem durch den Sportwissenschaftler Lars Lienhard bekannt gemacht wurde, kommt dieser Ansatz des Gehirntrainings und der Bewegungssteuerung ursprünglich aus den USA. Hier begann bereits Anfang der 2000er Jahre der Athletiktrainer Eric Cobb damit, die beiden Disziplinen Athletiktraining und Neurowissenschaften miteinander zu verknüpfen. Die Geburtsstunde des Neuro Athletic Training.
Cobb vereinte Erkenntnisse aus den Neurowissenschaften sowie Praxiserfahrungen aus Therapie und Training zu einem eigenen Ausbildungskonzept mit entsprechenden Trainingsmethoden, dem Z-Health Performance Education System.
Wie funktioniert Neuroathletik?
Für jede Bewegung, die wir ausführen, benötigt das Gehirn sensorische Informationen aus den drei bewegungssteuernden Systemen
- Augen (visuelles System),
- Gleichgewicht (vestibuläres System) und
- Körperwahrnehmung (propriozeptives System).
Je klarer und hochwertiger die Signale aus diesen Systemen sind, desto besser ist die körperliche Leistungsfähigkeit. Kommt es zu Störungen in der Kommunikation oder sind die Informationen zu schwach, wirkt sich das negativ auf den Trainingserfolg aus.
Übungen, bei denen diese Prozesse und Schwachstellen des Nervensystems im Fokus stehen, werden als Neurotraining bezeichnet. Es hilft bei der Optimierung dieser Prozesse, um die Leistung zu verbessern und Verletzungen vorzubeugen. Da dieses Thema auch im Leistungssport eine große Rolle spielt, werden auch oft die Begriffe Neuroathletik, neuroathletisches Training oder NAT verwendet.
Für das bessere Verständnis, ein kleiner Exkurs in unsere drei bewegungssteuernden Systeme:
Das visuelle System: unsere Augen
Nahezu alle unsere Bewegungen werden über die Augen gesteuert. Durch den Input werden unserem Gehirn alle wichtigen Informationen über unsere Umwelt mitgeteilt, wodurch eine zielgerichtete Bewegung überhaupt möglich wird. Schon geringe Informationsverluste oder Störungen können zu einem suboptimalen Bewegungsergebnis führen. Überlastete Augen können zudem zu Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen und Nackenverspannungen führen. Sie stehen auch in enger Verbindung mit dem Gleichgewichtssinn. Deshalb lohnt es sich, den Augen nicht nur Ruhe zu gönnen, sondern sie auch gezielt zu stärken. Hier kommt das Visual-Training ins Spiel.
Das Visual-Training funktioniert im Grunde wie ein Workout für deine Augen. Du trainierst damit die Augenmuskulatur, die Zusammenarbeit beider Augen und die Koordination mit dem Gehirn. Mit regelmäßigem Training kannst du starke Fortschritte machen. Wichtig ist dabei: Gönn dir Pausen! Gerade am Anfang ist das Training für die Augen ziemlich fordernd. Deshalb reichen 10 Minuten pro Tag völlig aus. Je nach Variante kannst du das Training ganz einfach an dein eigenes Tempo und deine Bedürfnisse anpassen.
Das vestibuläre System: unser Gleichgewicht
Unsere Gleichgewichtsorgane sitzen im Innenohr. Sie messen die Beschleunigung von Bewegungen des Kopfes und des Körpers und ermöglichen uns so die Orientierung im Raum. Diese Informationen senden sie ans Gehirn und sie bilden die Grundlage für unsere Haltung (muskuläre Spannung) und Ausrichtung der Augen. Ein funktionierendes Gleichgewichtssystem ist die absolute Grundlage für eine präzise Bewegungsausführung.
Unser Gleichgewichtssystem unterstützt durch die Stabilisierung der Augen das visuelle System. Das visuelle System wiederum unterstützt durch die Bereitstellung von Bildern und äußeren Orientierungspunkten unser Gleichgewicht. Du hast das bestimmt schon mal selbst erlebt: Mit geschlossenen Augen wird es schwierig, geradeaus zu laufen. Schon nach ein paar Metern geht’s meist vom Weg ab. Der Grund: ohne visuelle Unterstützung fehlt einfach die nötige Orientierung.
>> Lesetipp: 3 Neuroathletik Übungen bei Schwindelgefühl
Das propriozeptive System: das GPS des Körpers
Die Propriozeption ist so etwas wie das innere GPS deines Körpers. Sie sorgt dafür, dass du immer weißt, wo sich deine Arme und Beine gerade befinden – ganz ohne hinzuschauen. Zum Beispiel, wenn du im Dunkeln nach dem Lichtschalter tastest oder ohne hinzusehen, dein Glas greifst.
Damit das reibungslos klappt, müssen Gelenke und umliegende Strukturen gut beweglich sein. Nur so kann dein Körper präzise Signale senden und eine saubere, koordinierte Bewegung ermöglichen. Je besser dieses System funktioniert, desto geschmeidiger läuft auch alles andere, von der Haltung bis zur sportlichen Leistung.
Was bringt mir Neuroathletik?
Alle Körperteile verfügen über eine Art Abbildung im Gehirn. Dabei nehmen die Abbildungen für Gesicht, Hände und Füße eine besonders große Fläche ein. Das liegt daran, dass hier besonders viele Wahrnehmungsorgane – die Rezeptoren – sitzen und wir diese Areale von Geburt an intensiv und vielfältig nutzen. Fehlmeldungen oder ausbleibende Meldungen aus diesen Arealen haben somit auch enorme Auswirkungen auf Bewegungs- und Lebensqualität. Hinzu kommt, dass wichtige Wahrnehmungsorgane wie unsere Füße mit fortschreitendem Alter immer weniger genutzt werden.
Die anfangs angelegten Informationsautobahnen verkommen zu Trampelpfaden, über die nur noch wenige unklare Informationen transportiert werden können. Das Ergebnis: Wir können bestimmte Bewegungen nicht mehr abrufen, werden unbeweglich und ängstlich, da unser Gehirn derartige Bewegungen als Gefahr verbucht und so dafür sorgt, dass wir solche Reize vermeiden. Es muss erst wieder lernen, dass bei solchen Bewegungsabläufen keine Gefahrensituation vorliegt.
Im Alltag und v.a. im Sport bewegen wir nicht nur unseren Körper. Wir müssen ständig unsere eigene Position im Raum sowie die von Hindernissen oder Gegnern erfassen, sie miteinander abgleichen und idealerweise flexibel auf unvorhersehbare Ereignisse wie Bodenunebenheiten, gegnerische Kontakte oder Glätte reagieren. Je reibungsloser und korrekter diese Prozesse ablaufen und je weniger Gefahr unser Gehirn wahrnimmt, desto besser ist das Ergebnis.
Kurz gesagt: Neuroathletik hilft dir, Bewegungen sicherer, flüssiger und bewusster auszuführen. Im Alltag genauso wie im Sport.
Neuroathletiktraining gegen Beschwerden im Alltag
Neurotraining bietet ein enormes Potential für jeden Menschen. Vom Kleinkind bis zum Senior, vom vermeintlich Gesunden bis zum chronisch Kranken. Es kann positive Effekte haben bei
- Stress,
- Digital Overload,
- Schmerzen,
- Ermüdung und Energielosigkeit,
- Gelenkblockaden und Beweglichkeitseinschränkungen,
- visuellen Problemen wie müden Augen und eingeschränkter Sicht,
- Leistungsdefiziten oder -plateaus im Sport sowie
Schwindel, - Lese-Rechtschreibstörungen,
- ADHS und
- Angstzuständen.
Für wen ist Neuroathletik geeignet?
Kurz gesagt: Für alle! Neuroathletiktraining kann für jeden Menschen – unabhängig von Alter oder Fitnesslevel – positive Effekte haben.
Neurotraining kann nicht nur für erwachsene, sportliche Menschen oder gar Athleten interessant sein. Diese Trainingsform, die in ganz unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden und auch für untrainierte Personen anwendbar ist, bietet viel Potential – für jeden. Vom Kleinkind bis zum Senior, vom vermeintlich Gesunden bis zum chronisch Kranken.
Du kannst im Alltag beispielsweise viele verschiedene Arten von Schmerzen behandeln oder auch einfach deine Augen trainieren – zur Entspannung oder um deine Sehkraft zu schulen. Deine Möglichkeiten sind vielfältig und für jeden Körperbereich ist etwas mit dabei.
>> Lesetipp: Neuroathletik Übungen bei Kurzsichtigkeit
Im Leistungssport können neuroathletische Übungen helfen, die Reaktionsfähigkeit zu verbessern und dadurch deine Leistung zu steigern. Sensorik und Wahrnehmung, also die Verbesserung des Inputs im Gehirn, rücken etwa im professionellen Fußballtraining zunehmend in den Fokus.
>> Lesetipp: So setzt du Neurotraining im Fußball um: Trainiere wie Gnabry und Musiala
Die Übungen sind dabei oft dieselben, und auch der Ansatz und das Ziel bleiben gleich: die Verbesserung des Zusammenspiels von Gehirn und Körper. Wie du das einsetzen möchtest, bleibt dir überlassen.
Ganzheitlich für viele Sportbereiche trainieren
Die meisten Trainingsansätze und Trainingsformen sind stark outputorientiert: Sie konzentrieren sich auf die finale Bewegung, fehlerhafte Bewegungsmuster oder die Schmerzstelle. Der Informationsinput und dessen Verarbeitung hingegen werden oft vernachlässigt. Auch im Training sollten wir darauf achten, wie Informationen aufgenommen und verarbeitet werden, um ein bestmögliches Ergebnis zu erzielen.
Wenn unsere Augen z. B. nur eingeschränkt sehen, einen Ball nur sprunghaft und unscharf verfolgen können, wenn wir bei jedem kleinen Rempler aus dem Gleichgewicht geraten oder über unsere Füße nur begrenzt Informationen über den Untergrund erhalten, hat das unmittelbare Auswirkungen auf unsere Bewegung – und damit auf unsere Leistungsfähigkeit.
Neurotraining kann helfen, die ursprünglichen, körpereigenen Fähigkeiten zur Reizverarbeitung wiederherzustellen und so unsere Lebens- und Leistungsqualität in nahezu allen Bereichen des (sportlichen) Alltags zu verbessern. Deshalb gewinnt Neuroathletik beispielsweise im Fußball und im Tennis zunehmend an Bedeutung – denn hier kommt es besonders darauf an, Entfernungen präzise einzuschätzen und das Zusammenspiel von Auge und Fuß bzw. Auge und Armen optimal abzustimmen.
3 Neuroathletik Übungen zum Einstieg
Zu den einfachsten Neuroathletik Übungen zählen die, die deine Augen trainieren. Dafür brauchst du nicht viel und du kannst sie schnell und überall durchführen. Gerade bei dem heutigen Übermaß an Screentime im Alltag können ein paar Minuten Augentraining am Tag sehr entspannend sein.
Hier zeigen wir dir 3 Augenübungen, die du ganz einfach in deinen Alltag integrieren kannst:
Übung 1: Augen entspannen mit der Rasterbrille

So geht's: Trage die Rasterbrille im Alltag. Am Computer, beim Lesen, beim Putzen oder beim Sport - in den Bereichen, wo du dich damit wohlfühlst. Das Tragen kann anfangs ungewohnt sein, doch das vergeht schnell. Verwende die Lochbrille zunächst ca. 5 - 10 Minuten. Bei Bedarf kannst du das Training nach und nach intensivieren.
Tipp für Brillenträger: Trage die Rasterbrille statt deiner normalen Brille. Du wirst feststellen, dass sie nach einiger Eingewöhnungszeit deine Sehschwäche teilweise oder sogar vollständig ausgleichen kann.
Was bringt mir das? Die Rasterbrille entspannt deine Augen, indem sie den Stressfaktor Licht reduziert, das einfallende Licht aber punktuell bündelt. Bei visuellem Stress, zum Beispiel durch alte Kopfverletzungen (wie eine Gehirnerschütterung oder ein Schleudertrauma) oder langes Arbeiten am Computer, kann die Brille dazu beitragen, das Gehirn zu entlasten und deine Leistung besser abzurufen.
Zudem verschafft sie dir einen klareren Blick. Daher wird sie häufig in Kombination mit anderen Sehübungen eingesetzt.
Übung 2: Scharf sehen

So geht's: Hänge die Fern-Tafel an die Wand und stelle dich so weit weg, dass du die Buchstaben gerade noch klar sehen kannst. Die Nah-Tafel hältst du in der Hand, ebenfalls in einem Abstand, in dem du die Buchstaben gerade noch klar erkennen kannst.
Lies nun abwechselnd einen Buchstaben nah und fern. Wechsle die Tafel erst, wenn du den Buchstaben vollkommen klar erkannt hast.
Was bringt mir das? Durch den Wechsel zwischen den beiden Tafeln müssen deine Augen immer wieder neu fokussieren. Das trainiert deine Fähigkeit, schnell zwischen Kurz- und Weitsicht zu wechseln. Das ist besonders im Alltag wichtig – etwa beim Blickwechsel zwischen Smartphone und Umgebung im Straßenverkehr oder zwischen Ball und Mitspielern im Sport.
Übung 3: Objektverfolgung

So geht's: Lege dich in entspannter Rückenlage auf den Boden. Hänge den Marsden Ball circa 60–100 cm mittig über dein Gesicht. Lasse den Ball in alle Richtungen schwingen, verfolge ihn mit den Augen (Fixation des Buchstabens unten auf dem Ball).
Was bringt mir das? Die Übung kann dir dabei helfen, bewegliche Objekte besser im Fokus zu behalten. Gerade für Ballsportler ist das eine essenzielle Fähigkeit. Aber auch im Alltag – etwa beim Autofahren, in Gesprächen oder bei der Bildschirmarbeit – hilft dir eine flexible Fokussierung, schneller zu reagieren.
>> Alle Neuroathletik Übungen findest du hier
>> Neuroathletik Übungen als PDF-Download
Wie kann ich Neuroathletik Trainer werden?
Neuroathletiktraining gewinnt zunehmend an Aufmerksamkeit. Immer mehr Trainer und Therapeuten integrieren diesen Ansatz in ihr Repertoire. Passend dazu wächst auch das Angebot an Aus- und Weiterbildungen in Deutschland kontinuierlich.
>> Alle Fortbildungstermine im Überblick
Fazit: Neuroathletik – ganzheitlicher Trainingsansatz mit Zukunft
Der innovative Ansatz des Gehirntrainings erlebt aktuell einen starken Aufschwung – ähnlich wie einst das Faszientraining. Immer mehr Sportler, Therapeuten und Gesundheitsbewusste setzen auf diese effektive Trainingsform, um Bewegungsqualität und Körpergefühl zu verbessern.
Neuroathletische Übungen können dich dabei unterstützen, Schmerzen zu reduzieren, deine Muskeln gezielter anzusteuern und das Zusammenspiel zwischen Körper und Gehirn zu optimieren – im Alltag und im Leistungssport. Wenn du offen für neue Wege bist, kannst du mit Neuroathletik einen echten Mehrwert für deine Gesundheit, deine Leistung und dein Wohlbefinden schaffen.