Neurowissenschaftler Dr. Volker Busch bei einem Vortrag auf dem ARTZT Day 2018.

"Neuroathletiktraining könnte einen immensen Gewinn für unsere Patienten bedeuten"

Lesedauer: 4 Min.

Er ist Neurowissenschaftler, Arzt, Autor und Vortragsredner. Im exklusiven Interview mit ARTZT neuro verrät Prof. Dr. Volker Busch, wie er als Neurologe das Trendthema Neuroathletik bewertet.


Inhalt

Interview
Zur Person
Podcast: Gehirn Gehört


Interview

Dr. Busch, Sie haben in Bezug auf das Thema Gehirn und Bewegung einmal folgenden Satz gesagt: "Die Entwicklung kognitiver Leistungen beginnt mit der Bewegung". Was hat es damit auf sich?

Ja, das stimmt. Denn durch Bewegung werden viele Faktoren wirksam, die unsere Kognition signifikant verbessern können. Dazu gehört u.a. die Verbesserung der Durchblutung, die Sauerstoffversorgung und Ernährung der Nervenzellen, aber auch der Abtransport von stoffwechselphysiologischen Abfallprodukten. Und seit einigen Jahren wissen wir außerdem, dass körperliche Bewegung auch eine Reihe von Wachstumsprozessen im Gehirn anstößt, also neue Nervenzellen zu bilden (Neurogenese) und sie in ein stabiles synaptisches Netzwerk einzubauen.

Das wiederum kann unsere geistige Leistung verbessern. Und mehrere prospektive Studien, die ältere sportliche Menschen über Jahre mit ihren passiven Altersgenossen verglichen, kamen zu dem Schluss, dass regelmäßige Bewegung sogar unsere sogenannte kognitive Reserve erhöhen kann. Unser geistiger Verfall schiebt sich also nach hinten, wenn wir in Bewegung bleiben. Äußere Bewegung fördert unsere innere Bewegung.

Was macht Bewegungsmangel mit unserem Gehirn?

Über 60% der Gehirnmasse ist mit motorischer Steuerung assoziiert. Intuitiv mag man glauben, das menschliche Gehirn sei vor allem zum Denken da. Streng genommen ist dies jedoch eher Nebensache. Die motorische Steuerung erfordert viel mehr neuronale Aktivität und Energie als das Denken. Daher nehmen diese Areale auch bis heute den größten Platz ein. Wenn wir uns jedoch kaum noch im Alltag bewegen, werden diese Bereiche nicht mehr stimuliert und zum Teil rückgebildet. Dahinter steckt ein Sparprinzip: Was funktionell nicht gebraucht wird, muss auch nicht mit Sauerstoff und Glukose ernährt werden. In der Fachsprache lautet diese ökonomische Regel: „Use it or lose it“.

"Neuroathletiktraining könnte einen immensen Gewinn für unsere Patienten bedeuten, übrigens bei ganz unterschiedlichen Beschwerden und Krankheitsbildern. Schmerzen sind nur ein Beispiel hierfür."

Wie sollte aus Ihrer Sicht eine Neuroplastizität fördernde Bewegung aussehen?

Nach allem, was wir bisher darüber wissen, sind komplexe Bewegungen und motorische Abläufe besonders reizvoll für das Gehirn und damit auch für neuroplastisches Wachstum. Die stärkste Stimulation von Nervenzellen ist die Überraschung. Das gilt auch bei Bewegungen: Beim Spazieren gehen bleibt diese Komplexität aus. Beim Klettern, beim Tanzen oder bei koordinativ anspruchsvoller Athletik ist sie dagegen zentraler Bestandteil der Motorik und bedeutet einen permanenten Einstrom immer wieder neuer Signale, die das Gehirn verarbeiten und beantworten muss. Das hält die Nerventätigkeit auf Trab und erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass frisch gebildete Nervenzellen länger überleben.

Welchen Einfluss haben Wahrnehmung und Umgebung auf unser Gehirn

In digitalen Welten müssen wir aufpassen, dass Wahrnehmung und Lernen nicht zu theoretisch bleiben oder zweidimensional auf den Bildschirm beschränkt. Auch hier hilft Bewegung zu einem besseren Erfassen der Umwelt: Menschliche Kognition ist „verkörpert“, man spricht von embodied cognition. Darunter versteht man, dass unser Gehirn Gegenstände, Sachverhalte oder komplexe Situationen nicht abstrakt speichert, sondern fast immer in Verbindung mit motorischen Abläufen und Prozessen.

Wenn Sie Probanden bitten an einen Hammer zu denken, werden weniger diejenigen Bereiche aktiv, in denen die lexikalische Bedeutung des Wortes gespeichert sind, sondern viel mehr die Bereiche, die mit der Ausführung der Hammerbewegung zu tun haben.

Unser Gehirn speichert und erinnert sich an Dinge also in Form verkörperter Erinnerungen. Das geht natürlich nur, wenn wir einmal zuvor beobachtet haben, wie man einen Hammer benutzt oder dies selbst getan haben. Aus diesem Grund ist nachhaltiges Lernen auch immer an Erfahrungen gebunden. Zu jeder Theorie gehört die Praxis der Ausführung. Das schafft Verkörperung von Erinnerungen – und damit auch deren langfristige Speicherung.

Aktuell im Trend ist das Neuroathletiktraining. Hier tritt vor allem die Wahrnehmung- und Informationsverarbeitung als Grundlage für eine gute und schmerzfreie Bewegung in den Fokus. Ergibt das für Sie aus Sicht der Neurowissenschaft Sinn?

Neuroathletik und Neurozentrierte Trainingsmethoden sind die konsequente Weiterentwicklung der Befunde aus den Laborstudien zu dem Einfluss von Bewegung auf das Nervensystem. Ihre wissenschaftliche Wirksamkeit steht vielfach noch aus, wir befinden uns hier noch in den Anfängen. Dennoch halte ich die Beschäftigung mit dem Thema in Form von Anwendungsbeobachtungen und im besten Fall durch kontrollierte Studien für extrem wichtig.

Das Neurozentrierte Training könnte einen immensen Gewinn für unsere Patienten bedeuten, übrigens bei ganz unterschiedlichen Beschwerden und Krankheitsbildern. Schmerzen sind nur ein Beispiel hierfür. In der Tat ist diese Indikation besonders spannend. Vorstellbar wäre beispielsweise, dass der afferente Einstrom propriozeptiv und koordinativ hochkomplexer Informationen während eines solchen Trainings eine neuronale Reorganisation schmerzverarbeitender Areale im Gehirn unterstützen könnte.

Dies würde dann zu einer Wiederherstellung der ursprünglichen strukturellen Verhältnisse beitragen und konsekutiv Schmerzen senken, ähnlich wie wir das bei bestimmten reizphysiologischen Behandlungsformen bei Phantomschmerzen schon kennen und neuronal sogar mittlerweile schon belegen konnten.

Zur Person

Prof. Dr. Volker Busch ist Speaker des Jahres 2021, Podcaster, Bestsellerautor sowie Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie und beschäftigt sich dabei am liebsten mit seiner Leidenschaft: der Welt von Geist und Gehirn.

Er erforscht als Leiter einer neurowissenschaftlichen Arbeitsgruppe an der Universität Regensburg mit seinem Team die psychophysiologischen Zusammenhänge von Stress, Schmerz und Emotionen bzw. arbeitet therapeutisch mit Menschen, die unter Belastungen verschiedenster Art leiden und begleitet sie auf dem Weg zu psychischer Gesundheit und Zufriedenheit.

Außerdem gibt er seit vielen Jahren sein Wissen und seine Erfahrung in Form von Keynotes/Vorträgen, Seminaren und Publikationen weiter, und hilft Führungskräften, Mitarbeitern und seinen Mitmenschen zu mehr Gehirngesundheit, Motivation und Inspiration.

So schafft er eine schöne Verbindung aus Literatur, Labor und dem Leben von Menschen.

Podcast: Gehirn Gehört

Mehr dazu, wie Gehirn und Bewegung zusammenhängen erfährst du in der Podcast-Folge Das bewegte Gehirn aus Dr. Buschs Podcast Gehirn Gehört. Die aktuelle Folge Fangen Sie an! Warum der erste Schritt der wichtigste ist (06.01.2023) findest du hier.

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