Mann hebt mit beiden Händen ein Traktorreifen an.

Was ist eigentlich Neuroathletik?

Lesedauer: 6 Min.

Was ist Neuroathletik? Wie funktionieren Neuroathletik Übungen? Und was bringt mir Neuroathletiktraining überhaupt? Erfahre hier, wie du den Gamechanger für dich in Alltag, Sport und Therapie nutzen kannst.


Inhalt

Was ist Neuroathletik?
Wie funktioniert Neuroathletik?
Was bringt mir Neuroathletik?
Für wen ist Neuroathletik geeignet?
In welchen Sportarten kann Neuroathletik eingesetzt werden?
Wie kann ich Neuroathletik Trainer werden?
3 Neuroathletik Übungen zum Einstieg
Fazit

Was ist Neuroathletik?

Kopf und Körper sind eine Einheit. Unser Gehirn reguliert und kontrolliert alles im Körper. Es nimmt externe und interne Informationen als Input über unsere Sinnesorgane, z.B. die Augen auf, verarbeitet und interpretiert sie mit unserem vorhandenen Wissen und erzeugt daraus ein Endergebnis, den Ouput. Im Sport ist jener maßgebliche Output die Bewegung. Wie wir uns bewegen, wird von den Prozessen in Gehirn und Nervensystem bestimmt. Und genau da setzt Neuroathletik an.

Während Neuroathletiktraining in Deutschland vor allem durch den Sportwissenschaftler Lars Lienhard bekannt gemacht wurde, kommt es ursprünglich aus den USA. Hier begann bereits Anfang der 2000er Jahre der Athletiktrainer Eric Cobb damit, die beiden Disziplinen Athletiktraining und Neurowissenschaften miteinander zu verknüpfen. Die Geburtsstunde des Neuro Athletic Training.

Cobb vereinte schließlich die Erkenntnisse aus den Neurowissenschaften und den Praxiserfahrungen aus Therapie und Training zu einem eigenen Ausbildungskonzept, dem Z-Health Performance Education System.

Wie funktioniert Neuroathletik?

Für jede Bewegung, die wir ausführen, benötigt das Gehirn sensorische Informationen aus den drei bewegungssteuernden Systemen Augen (visuelles System), Gleichgewicht (vestibuläres System) und Eigenwahrnehmung im Raum (propriozeptives System). Je klarer und hochwertiger die Signale aus diesen Systemen sind, desto besser ist die körperliche Leistungsfähigkeit. Kommt es zu Störungen in der Kommunikation oder sind die Informationen zu schwach, wirkt sich das negativ auf den Trainingserfolg aus.

Übungen, bei denen diese Prozesse und Schwachstellen des Nervensystems im Fokus stehen, werden als Neurotraining bezeichnet. Es hilft bei der Optimierung dieser Prozesse, um die Leistung zu verbessern und Verletzungen vorzubeugen. Da dieses Thema auch im Leistungssport eine große Rolle spielt, werden auch oft die Begriffe Neuroathletik, neuroathletisches Training oder NAT verwendet.

Für das Neurotraining sind die drei bewegungssteuernden Systeme ausschlaggebend:

Das visuelle System: unsere Augen

Nahezu alle unsere Bewegungen werden über die Augen gesteuert. Durch den Input werden unserem Gehirn alle wichtigen Informationen über unsere Umwelt mitgeteilt, wodurch eine zielgerichtete Bewegung überhaupt möglich wird. Schon geringe Informationsverluste oder Störungen können zu einem suboptimalen Bewegungsergebnis führen. Überlastete Augen können zudem zu Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen und Nackenverspannungen führen. Sie stehen auch in enger Verbindung mit dem Gleichgewichtssinn.

Das Visual-Training kann man sich als Fitness-Training für die Augenmuskulatur und die Koordination der Augen und Abstimmungsprozesse im Gehirn vorstellen. Ein regelmäßiges Training kann hier zu beeindruckenden Ergebnissen führen. Wie bei jedem Training sollten aber auch hier ausreichende Pausen eingehalten werden. Das Visual-Training ist anfangs anstrengend. 10 Minuten am Tag reichen daher zu Beginn aus. Mit verschiedene Varianten kann die Intensität des Trainings an die persönlichen Bedürfnisse angepasst werden.

Das vestibuläre System: unser Gleichgewicht

Unsere Gleichgewichtsorgane sitzen im Innenohr. Sie messen die Beschleunigung von Bewegungen des Kopfes und des Körpers und ermöglichen uns so die Orientierung im Raum. Diese Informationen senden sie ans Gehirn und sie bilden die Grundlage für unsere Haltung (muskuläre Spannung) und Ausrichtung der Augen. Ein funktionierendes Gleichgewichtssystem ist somit die absolute Grundlage für eine präzise Bewegungsausführung. 

Das Gleichgewichtssystem unterstützt durch die Stabilisierung der Augen das visuelle System und das dieses wiederum unterstützt durch die Bereitstellung von Bildern und somit äußeren Orientierungspunkten das Gleichgewicht. Das haben Sie bestimmt schon einmal selbst erlebt, wenn Sie Bewegungen blind, also ohne visuelle Unterstützung ausgeführt haben: Für Ungeübte ist es nahezu unmöglich, mit geschlossenen Augen auch nur ein paar Meter geradeaus zu laufen, ohne vom Pfad abzukommen.

Das propriozeptive System: Die Bewegungsmelder

Unter Propriozeption versteht man die Eigenwahrnehmung. Wo befinden sich die Gliedmaßen? Wie stehen die Gelenke zueinander? Gelenke und die angrenzenden Strukturen sollten daher eine optimale Beweglichkeit aufweisen, um eine gute Bewegungsqualität zu ermöglichen.

Was bringt mir Neuroathletik?

Alle Körperteile verfügen über eine Art Abbildung im Gehirn. Dabei nehmen die Abbildungen für Gesicht, Hände und Füße eine besonders große Fläche ein. Das liegt daran, dass hier besonders viele Wahrnehmungsorgane – die Rezeptoren – sitzen und diese Areale von Geburt an intensiv und vielfältig genutzt werden. Fehlmeldungen oder ausbleibende Meldungen aus diesen Arealen haben somit auch enorme Auswirkungen auf Bewegungs- und Lebensqualität. Hinzu kommt, dass wichtige Wahrnehmungsorgane wie z.B. die Füße mit fortschreitendem Alter immer weniger genutzt werden.

Die anfangs angelegten Informationsautobahnen verkommen zu Trampelpfaden, über die nur noch wenige, unklare Informationen transportiert werden können. Das Ergebnis: Wir können bestimmte Bewegungen nicht mehr abrufen, werden unbeweglich und ängstlich, da unser Gehirn derartige Bewegungen als Gefahr verbucht und so dafür sorgt, dass wir solche Reize vermeiden. Es muss erst wieder lernen, dass bei solchen Bewegungsabläufen keine Gefahrensituation vorliegt.

Im Alltag und v.a. im Sport bewegen wir nicht nur unseren Körper, wir müssen permanent unsere Position im Raum - und die, von eventuell vorhandenen Hindernissen oder Gegnern - kontrollieren, diese mit unserer eigenen Position abstimmen und im Idealfall auf unvorhersehbare Ereignisse (Unebenheiten im Boden, Stöße von Gegnern, Glätte etc.) bestmöglich reagieren. Je reibungsloser und korrekter diese Prozesse ablaufen und je weniger Gefahr unser Gehirn wahrnimmt, desto besser ist das Ergebnis.

Neuroathletiktraining im Alltag

Neurotraining bietet ein enormes Potential für jeden Menschen, vom Kleinkind bis zum Senior, vom vermeintlich Gesunden bis zum chronisch Kranken. Es kann positive Effekte haben bei Schmerzen, Ermüdung und Energielosigkeit, Gelenkblockaden und Beweglichkeitseinschränkungen, visuellen Problemen wie müden Augen und eingeschränkter Sicht, Leistungsdefizite oder -plateaus im Sport sowie Schwindel, Lese-Rechtschreibstörungen, ADHS und Angstzuständen.

Für wen ist Neuroathletik geeignet?

Kurz gesagt: Für Alle! Neuroathletiktraining kann von jedem Menschen in jedem Alter und auf jedem Fitnesslevel durchgeführt werden. Du kannst im Alltag deine Augen trainieren, um sie zu entspannen oder deine Sehkraft zu schulen.

>> Lesetipp: Neuroathletik Übungen bei Kurzsichtigkeit

Im Leistungssport können neuroathletische Übungen dabei helfen, die Reaktionsfähigkeit zu verbessern und so die Leistung zu steigern. Sensorik und Wahrnehmung, also die Verbesserung des Inputs im Gehirn, rücken z.B. beim professionellen Fußballtraining mehr und mehr in den Vordergrund.

>> Lesetipp: Wie Neuroathletiktraining im Fußball funktioniert

Die Übungen sind dabei oft dieselben. Das Ziel bleibt ja gleich: Die Verbesserung des Zusammenspiels von Gehirn und Körper. Wie du das einsetzen möchtest, bleibt dir überlassen.

In welchen Sportarten kann Neuroathletik eingesetzt werden?

Die meisten Trainingsansätze sind stark outputorientiert und schauen nur auf die finale Bewegung, das fehlerhafte Bewegungsmuster, die Stelle des Schmerzes. Informationsinput und -verarbeitung werden vernachlässigt. Nur hier anzusetzen bedeutet aber, einen fertigen Kuchen nur noch zu verzieren, ohne auf die richtigen Zutaten und die Art der Verarbeitung zu achten. Wir sollten auch beim Training schauen, wie wir Informationen aufnehmen und verarbeiten, um ein bestmögliches Ergebnis zu erhalten.

Können unsere Augen nur eingeschränkt sehen, einen Ball nur sprunghaft und unscharf verfolgen, geraten wir bei jedem kleinen Rempler komplett aus dem Gleichgewicht, oder erhalten wir über die Bewegungsmelder in den Füßen nur eingeschränkte Informationen über den Untergrund, so hat das Auswirkungen auf die finale Bewegung und somit unsere Leistung.

Neurotraining kann helfen, die ursprünglichen, körpereigenen Fähigkeiten der Reizverarbeitung wiederherzustellen und so unsere Lebens- und Leistungsqualität in nahezu allen Bereichen unseres (Sport-) Alltags zu verbessern. So gewinnt Neuroathletik im Fußball mehr und mehr an Bedeutung. Hier kommt es auf vor allem darauf an, Entfernungen richtig abzuschätzen sowie Auge und Fuß perfekt in Einklang zu bringen. 

Wie kann ich Neuroathletik Trainer werden?

Das Neuroathletiktraining findet mittlerweile immer mehr Trainer und Therapeuten, die ihr Repertoire dahingehend erweitern möchten. Glücklicherweise wächst dementsprechend das Ausbildungsangebot auch in Deutschland immer weiter.

>> Alle Fortbildungstermine im Überblick

3 Neuroathletik Übungen zum Einstieg

Zu den einfachsten Neuroathletik Übungen zählen die, die deine Augen trainieren. Dafür brauchst du nicht viel und du kannst sie schnell und überall durchführen. Gerade bei dem heutigen Übermaß an Screentime im Alltag können ein paar Minuten Augentraining am Tag eine wahre Wohltat sein.

Hier zeigen wir dir 3 Augenübungen, die du ohne weiteres in deinen Alltag integrieren kannst:

Übung 1: Augen entspannen mit der Rasterbrille

Frau in Ausgangsstellung der Entspannungsübung Visuelles System

So geht's: Trage die Rasterbrille im Alltag. Am Computer, beim Lesen, Putzen oder beim Sport. Aufs Autofahren solltest du jedoch verzichten. Verwende die Lochbrille anfangs ca. 5 - 10 Minuten. Bei Bedarf kannst du das Training nach und nach intensivieren.

Tipp für Brillenträger: Du trägst die Rasterbrille statt deiner normalen Brille. Du wirst feststellen, dass die Rasterbrille nach einiger Eingewöhnungszeit deine Sehschwäche ein Stück weit oder sogar vollständig ausgleichen kann.

Was bringt mir das? Die Rasterbrille entspannt deine Augen, indem sie den Stressfaktor Licht reduziert, das einfallende Licht aber gezielter (punktuell) bündelt. Dieses kann unterschiedlich genutzt werden. Bei visuellem Stress, wie er z.B. bei alten Kopfverletzungen oder intensiver Computerarbeit oft vorkommt, kann die Brille dazu beitragen, Leistungen besser abzurufen.

Zudem verschafft die Rasterbrille einen klareren Blick. Daher wird sie häufig in Kombination mit anderen Sehübungen eingesetzt.

Übung 2: Scharf sehen

Frau in Ausgangsstellung der Basisübung Visuelles System - Akkommodation / Fähigkeit des Scharf-Stellens

So geht's: Hänge die Fern-Tafel an die Wand und entferne dich so weit, dass du die Buchstaben noch klar sehen kannst. Die Nah-Tafel hältst du in der Hand ebenfalls in einem Abstand, in dem du die Buchstaben gerade noch klar erkennen können.

Lies nun abwechselnd einen Buchstaben nah und fern. Wechsle die Tafel erst, wenn du den Buchstaben vollkommen klar erkannt hast.

Was bringt mir das? Durch den Wechsel zwischen den beiden Tafeln müssen deine Augen immer wieder neu fokussieren. Das trainiert deine Fähigkeit, schnell zwischen Kurz- und Weitsicht zu wechseln.

Übung 3: Objektverfolgung

Frau in Ausgangsstellung der Basisübung Visuelles System - Augenfolgebewegungen / Kontrollierte Objektverfolgung

So geht's: Entspannte Rückenlage auf dem Boden. Der Marsden Ball hängt circa 60-100 cm mittig über dem Gesicht. Den Ball in alle Richtungen schwingen lassen und mit den Augen verfolgen (Fixation des Buchstabens unten auf dem Ball).

Was bringt mir das? Die Übung kann dir dabei helfen, bewegliche Objekte besser im Fokus zu behalten. Gerade für Ballsportler eine eine essenzielle Fähigkeit.

>> Alle Neuroathletik Übungen findest du hier.

>> Neuroathletik Übungen als PDF-Download

Fazit

Ist Neuroathletik nur ein Trend? Tatsache ist, das Neuroathletiktraining gerade viel Aufmerksamkeit erlebt, ähnlich wie seinerzeit das Faszientraining. Aber das macht die Übungen ja nicht schlechter. Und genau wie das Faszientraining können neuroathletische Übungen dazu beitragen, deinen Alltag einfacher und schmerzfreier zu gestalten und die Effektivität deines Trainings zu verbessern.

Sportler und Therapeuten nutzen schon lange einzelne neuroathletische Übungen und werden dies auch in Zukunft weiterhin tun.

Der Erfolg deines Neurotrainings hängt stark von deiner eigenen Physis ab und den Zielen, die du erreichen möchtest. Hier gilt die Devise: Einfach mal ausprobieren. 

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