Portrait Stefanie Knapp

„Viele Menschen bemerken trotz vorhandener Symptome nicht, dass sie seit Jahren Knirschen und Pressen“

Stefanie Kapp ist Expertin für CMD (Craniomandibuläre Dysfunktion), eine schmerzhafte Funktionseinschränkung zwischen Kiefer und Schädel. Seit Jahren beschäftigt sie sich mit den Ursachen von CMD, zu denen auch das Zähneknirschen oder Zähnepressen von gestressten und vielbeschäftigten Berufstätigen zählt. Im Interview verrät uns Stefanie, was man gegen die lästige Angewohnheit tun kann und wie Neurotraining dabei hilft.

Stefanie, du bist Physiotherapeutin und hast dich auf CMD spezialisiert. Was ist darunter zu verstehen und mit welchen Beschwerden kommen deine Patienten zu dir?

Bei der Craniomandibuläre Dysfunktion ist das Verhältnis zwischen Kiefer und Schädel gestört. Fehlstellungen der Kiefergelenke und eine falsche Bisslage können eine Vielzahl von Symptomen im gesamten Körper verursachen. Die Beschwerden sind sehr komplex und können alle Gelenke und Muskeln betreffen. Meine Patienten kommen zum Beispiel mit Kieferknacken, Zähneknirschen oder -pressen und den daraus resultierenden Schmerzen und Verspannungen im Kiefer-Nackenbereich bis hin zu Schwindel, Tinnitus und Schluckbeschwerden zu mir.

Du hast bei den Beschwerden auch Zähneknirschen genannt. Warum knirschen Menschen mit den Zähnen und was sind die Folgen für die Gesundheit?

Circa jeder dritte Deutsche knirscht mit den Zähnen und nur die wenigsten wissen zu Beginn davon. Nach einer gewissen Zeit kommt es durch die anhaltenden mechanischen Belastungen zu Zahnabrieb oder Zahnfleischrückgang und der damit oft einhergehenden Parodontitis. An dieser Stelle wird der Zahnarzt die Betroffenen darauf aufmerksam machen, denn Entzündungen im Mundraum können auf den gesamten Organismus übergehen.

Außerdem bemerken die Personen Verspannungen und Schmerzen im Kiefer und Nackenbereich, denn die Muskulatur wird permanent überlastet. Oft entwickeln sich schmerzhafte Stellen. Durch das Knirschen und Pressen können auch andere Symptome wie Kopfschmerzen, Gesichtsschmerzen und Rückenschmerzen zusätzlich verstärkt werden.

Was empfiehlst du deinen Zähneknirsch-PatientInnen?

Viele Menschen bemerken trotz vorhandener Symptome nicht, dass sie seit Jahren Knirschen und Pressen. Bevor eine Gewohnheit geändert werden kann, steht das Reflektieren im Vordergrund. Wahrzunehmen wie oft, wann und warum man knirscht und presst ist die Grundlage.

Anschließend gilt es diese Gewohnheit gezielt und mehrmals täglich umzuändern, um nachhaltig Entspannung zu schaffen. Wichtigste Hausaufgabe ist es hierbei die Zunge entspannt an den Gaumen zu halten, die Zähne in Abstand zu halten, die Kaumuskulatur bewusst zu entspannen und sich aufzurichten.

Du hast zu diesem Thema auch einen Podcast gemacht „Zähnepressen stoppen mit neuer Methode“. Um welche Methode geht es hier?

Die Methodik ist die qualitative Analyse der Ursachen. Wir legen Wert darauf, mit jedem einzelnen Betroffenen herauszuarbeiten, warum das Pressen vorhanden ist. Jahrelang ist man davon ausgegangen, dass die Zahnstellung die Ursache ist und daher wurde die Schienentherapie entwickelt. Allerdings haben die meisten „Presser“ keine Auffälligkeiten im Biss und profitieren nicht von der Schienentherapie – ganz im Gegenteil, manchmal verschlimmert diese die Schmerzen und Verspannungen im Kiefer-Kopf-Nackenbereich. Daher legen wir den Fokus auf die Ursachenforschung und diese ist bei jeden etwas anders.

Du arbeitest bei Kieferproblemen auch mit neurozentriertem Training. Kannst du uns kurz erläutern, was das für eine Trainingsmethode ist?

Im neurozentrierten Training liegt der Fokus auf der Schulung der Funktionen von Gehirn und Nervensystem. Diese Strukturen erhalten Informationen aus dem Körper und der Umwelt, müssen diese analysieren, integrieren und eine Antwort senden. Im Idealfall lautet die Antwort Wohlbefinden, Leistungsfähigkeit, Konzentration etc.. Falls die Informationen in schlechter Qualität an das Gehirn gesendet werden, entscheidet dieses auf die fundamentale Aufgabe des Schutzes überzugehen und sendet nun als Antwort muskuläre Verspannung, Schmerz, Leistungsabfall und andere körperliche Symptome.

Im neurozentrierten Training rund um meinen Spezialbereich werden die Informationen aus den Gelenken, Muskeln, Nerven, Weichteilen, Zähnen und Sinnesorganen im Bereich des Kiefers aufgearbeitet, sodass unser Gehirn wieder fähig ist, für Wohlbefinden zu sorgen,

Welche Neuro-Übungen gibst du deinen PatientInnen an die Hand? Stelle uns kurz eine Übung vor.

Ich fokussiere mich selten auf eine einzelne Übung, denn jeder Mensch reagiert bekanntlich auf einen anderen Reiz. Eine Übung steht für mich jedoch immer im Mittelpunkt: Das Zungenkreisen. Unsere Zunge ist für ein physiologisches Schluckmuster, unser Atemvolumen und für Stabilität des Kiefers und der Halswirbelsäule essentiell wichtig.

Für die Übung legt man die Zunge zwischen Wange und obere Zähne. Dann beginnt man, von rechts nach links die Zunge mit leichtem Druck auf die Zähne zu kreisen. Bei jeder Runde soll versucht werden, die Backenzähne weiter hinten zu berühren. Der Kiefer bleibt dabei still und stabil an Ort und Stelle.

Gibt es sinnvolle Kleingeräte, die die PatientInnen bei den täglichen Übungen unterstützen können?

Ich arbeite mit vielen kleinen Alltagshelfern wie Wattestäbchen, Zahnstochern, Handtüchern und Fitnessbändern. Empfehlen kann ich auch den Z-Vibe, denn dieser ist einsetzbar für die Wahrnehmung und Sensibilisierung der Rezeptoren im Mund-Kiefer-Bereich. Viele Patienten fühlen sich vollkommen entspannt nach der Anwendung. Dazu lege ich den Z-Vibe zum Beispiel auf den hinteren Zungenbereich und stimuliere somit den 10. Hirnnerv, den Nervus vagus. Dieser besitzt sensible Fasern und überträgt Informationen direkt ans Gehirn. Dadurch kann die Wahrnehmung deutlich erhöht und somit die Funktion verbessert werden, denn zusätzliche Wahrnehmung erleichtert die Aktivität. Das schöne beim Z-Vibe ist, dass die Anwendung entweder von mir als Therapeutin oder vom Patienten selbst ausgeführt werden kann.

Weiterhin benutze ich zur Stimulierung den SoundVibe. Dieser ist für die Aktivierung des Gleichgewichtsorgans gut einsetzbar, indem Vibrationssignale über Knochenschall direkt ins Innenohr übertragen werden. Da das Kiefergelenk durch Gewebe, Nerven und Muskulatur mit dem Innenohr verbunden ist, kann es durch die Therapie mit dem SoundVibe entspannt werden.

Über Stefanie Knapp

Stefanie Kapp ist Physiotherapeutin, Crafta Therapeutin und Z-Health Coach. Sie hat sich auf die Betreuung von Patienten mit Beschwerden im Kiefer-, Kopf- und Nackenbereich spezialisiert.

kieferwissen.de

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